Im Jahr 1941 deportierten die Nationalsozialisten über zweihundert Menschen aus Osnabrück über Eichberg in die Tötungsanstalt Hadamar. Es handelte sich um Menschen mit körperlichen Behinderungen und psychischen Erkrankungen. Die Nationalsozialisten betrachteten ihr Leben als „unwert“ und führten Zwangssterilisationen sowie folterähnliche Behandlungsmethoden an ihnen durch, bis sie sie schließlich ermordeten.
Am 28. September erinnerten wir mit einer Gedenkfeier am Mahnmal für die psychisch kranken Opfer des Nationalsozialismus an diese Ermordeten. Gleichzeitig setzten wir ein mahnendes Zeichen. Die Redner:innen gemahnten aktueller politischer Forderungen der Registrierung und Listenführung über psychisch erkrankte Menschen – genau so hatte es 1939 auch angefangen. Auch der Ruf nach Kriegstüchtigkeit wurde vor diesem Hintergrund kritisch eingeordnet: unter anderem an kriegstraumatisierten heimgekehrten Soldaten wurden Elektroschock’therapien‘ getestet, die eher Folter gleich kamen.
Den stimmungsvollen Abschluss der Gedenkfeier bildete die gemeinsame Kranzgestaltung.
Hier lest ihr einen Teil der Rede von Sigrid zum Gedenken am Getrudenberg:
Liebe menschliche Menschen, die ihr heute hier seid.
Listen! Sonderregister! So fing es 1939 in der Berliner Tiergartenstraße 4 an, einer eingerichteten Zentralverwaltung zur Koordination von Selektion und Abtransport kranker Menschen. 70.000 Menschen wurden Opfer dieser T4-Aktionen. […]
Listen! Sonderregister! Ja, wieder wird laut über das Anlegen von Listen psychisch erkrankter Menschen, Menschen mit Behinderung, sowie Transmenschen gesprochen. Diese seien notwendig, um die Gesellschaft vor Straftätern zu schützen.
Psychisch Kranke, queere Menschen gehören nicht auf stigmatisierende Listen! Kann ein Register die Gesellschaft vor Gewalttätern schützen? Ich denke, nein. Mit solchen Registern würden Menschen mit psychischen Erkrankungen unter Generalverdacht gestellt werden, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu sein.
Auch ein Carsten Linnemann, der diese Listen fordert, könnte schon morgen z. B. an einer akuten Psychose erkranken. Ausgelöst durch Stress, Unfall, Arzneimittelnebenwirkung. Er würde plötzlich den Bezug zur Realität verlieren und liefe Gefahr, aggressiv, womöglich straffällig zu werden. Würde sich ein Patient Linnemann dann wohl gerne auf einer „Liste für psychisch erkrankte und straffällig gewordene Menschen“ wiederfinden, die er so vehement fordert?
Nach wie vor bedeutet psychisch erkrankt zu sein, stigmatisiert zu werden. Sogar nach der Phase der Erkrankung müssen selbst Menschen mit Depressionen befürchten, das Label „nicht ganz richtig zu ticken“ nie wieder loszuwerden. […] Viele [Menschen mit psychischen und körperlichen Behinderungen, viele Transmenschen] leben schon jetzt in Angst davor, wohin Sonderregister führen könnten. Gerade Menschen, die offen queer leben, erfahren in diesen Zeiten vermehrt Hetze.
Lasst uns gemeinsam weiter mahnen, aufklären! Wir haben nicht vergessen, was auch hier in Osnabrück geschehen ist. Lasst uns gemeinsam weiter dafür einstehen, dass niemals wieder Menschen in Registern aufgelistet werden unter dem Gerede von „Schutzpflicht gegenüber den Bürgern“. Es braucht eine Schutzpflicht der Politiker und des Staates gegenüber seinen kranken Bürger:innen!
Wir OMAS GEGEN RECHTS werden weiter nicht müde, zu mahnen und zu erinnern. Wir werden mit allen uns zur Verfügung stehenden demokratischen Mitteln immer wieder laut sein gegen menschenunwürdige Ideen und Aktionen.
All diese Gedanken lassen mich an Albert Schweitzer denken, der diese Botschaft seines Denkens für uns hinterlassen hat: „Ehrfurcht vor dem Leben bedeutet: Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.”